Eine Geschichte über das Singen
(erzählt nach Detlef Thiele, 2010)
Der Wolf, der das Singen erlernen wollte, verließ den Wald, um einen Lehrmeister zu finden. Da unterhielten sich zwei Frösche am Wiesenrand. Dem Wolf klangen diese Töne gänzlich fremd, dennoch versuchte er zu singen wie sie, aber aus seinem Maul kam nur ein tiefes Knurren. Die Frösche erschraken sehr.
Der Wolf lief weiter und traf einen Raben, der sich in der Sonne wärmte. "Lieber Freund, wie steht es mit deiner Sangeskunst? Könntest du mich nicht darin unterrichten?", fragte der Wolf. "Selbstverständlich. Du hast deinen Lehrmeister gefunden.", sprach der Rabe und begann aus lauter Kehle zu krächzen. Dem Wolf schmerzten davon die Ohren, doch er wollte nicht unhöflich sein und so entgegnete er dem Raben: "Die Qualität deines Gesanges werde ich nie erreichen. Es wäre deinerseits vergebene Liebesmüh“.
Eine Grille zirpte, der Wind säuselte, eine Amsel sang ihr Lied, dem Wolf wurde ganz warm ums Herz, er begann zu träumen.
Plötzlich beklagte sich die kleine Spitzmaus, weil er mit seinen Pfoten ihren Hauseingang versperrte. "Ach, gute Frau Maus. Nun habe ich versucht, einen Lehrmeister im Gesang zu finden und bin doch nicht fündig geworden." "Das erscheint mir recht seltsam. Aber ich will Ihnen aus Ihrer Trübsal helfen. Bleiben Sie bis zur Nacht, dann will ich den Unterricht eröffnen.", antwortete die Maus.
Langsam zog die Abenddämmerung über die Felder und der Mond war bereit für seinen Nachtlauf am Firmament. "Nun, verehrter Herr Wolf, schauen Sie sich ganz genau den Mond an." Mit diesen Worten begann die Maus die erste Lektion. Der Wolf folgte der Aufforderung und je mehr sein Blick sich in dem fahlen Licht des Mondes fing, desto größer wurde der Drang zu singen. Und mit einem Male heulte er in den höchsten Tönen. Immer und immer wieder erklang sein Gesang und durchschnitt die Nachtruhe.
Erst nach Stunden ließ seine Stimme nach. Er wandte sich mit dankbarem Blick zur Maus, die sich geschwind zwei Weidenkätzchen aus den Ohren zog. "Nun lieber Herr Wolf, ich glaube, Sie brauchen keine weitere Unterrichtsstunde.“, sprach sie nicht ohne Stolz.